
Kosten im Gesundheitswesen unter besonderer Beobachtung
Die überproportional ansteigenden Prämien der Krankenkassen sind Abbild eines kontinuierlichen Kostenwachstums und Grund für die erhöhte Aufmerksamkeit in den Medien.

Das Gesundheitswesen steht aktuell unter besonderer medialer Aufmerksamkeit. Die überproportional ansteigenden Prämien der Krankenkassen sind Abbild eines kontinuierlichen Kostenwachstums und Grund für die erhöhte Aufmerksamkeit in den Medien. Dabei sind die Kostenwachstumstreiber vielfältig und je nach Fachrichtung oder Art der Arztpraxis in der Höhe anders ausgeprägt. Es sind dies (nicht abschliessend):
1. Sich wandelndes Patientenverhalten
Die Hemmschwelle, einen Arzt aufzusuchen, nimmt in der Tendenz ab. Als besonderer Kostentreiber kommt hinzu, dass teure Spezialisten auch für Bagatellfälle aufgesucht werden, wo früher in einem ersten Schritt die Einschätzung des Allgemeinpraktikers eingeholt worden ist. Zwar haben die Versicherungen mit neuen Versicherungsmodellen versucht, diesem Trend entgegen zu wirken, in der Realität ist die Hebelwirkung aber ausgeblieben.
Abbild dieses Verhaltens sind unter anderem auch die überfüllten Notfallstationen der Spitäler. Bei vielen der behandelten Patienten im Notfall handelt es sich um Bagatellfälle, ohne jeglichen Bezug zu einem echten Notfall. Vielleicht befeuert das hohe Prämienvolumen das Kostenwachstum noch zusätzlich, denn nicht selten hört man im eigenen Umfeld die Aussage, dass, wenn schon so hohe Prämien bezahlt werden müssen, die Erwartung einer entsprechenden Qualität (Fachspezialist) und Quantität (Arzt in jedem Fall aufsuchen) eine Selbstverständlichkeit ist. Vielleicht aber ist es Abbild einer Gesellschaft mit vergleichbar sehr hohem Lebensstandard, wo bereits kleinste Probleme nicht mehr durch eigenen Antrieb, sondern durch Spezialisten gelöst werden.
2. Steigendes Lohnniveau
Die steigende Nachfrage nach medizinischen Dienstleistungen resultieren bei einer fortdauernden Entwicklung in Fachkräftemangel und damit einhergehend steigenden Lohnkosten, um das Angebot sicherzustellen und der drohenden Versorgungslücke begegnen zu können. Der Engpass zeigt sich fast in allen medizinischen Berufen, stark ausgeprägt vor allem bei den Fachspezialisten und in den Pflegeberufen.
Dies resultiert in einer im Vergleich zum Ausland sehr hohen Dichte an medizinischen Fachspezialisten im Vergleich zur Bevölkerungsanzahl. Der Markt regelt sich hier nicht mehr selber, da dieser gerade «künstlich» über das Lohnniveau gestaltet und «attraktiv» gemacht werden muss. Natürlich spielen in diesem Markt auch andere Faktoren wie die Forschungsmöglichkeiten, die Standortattraktivität oder die moderne medizinische Versorgung eine Rolle, nicht aber in allen Fachrichtungen und meist nicht mit der gleichen Ausstrahlungskraft wie das Lohnniveau.
3. Infrastruktur
Mit der Angebotsausweitung einhergehend ist eine Ausweitung der medizinischen Infrastruktur erkennbar. Es wird viel in die Erweiterung der Infrastruktur und in neue Anlagen investiert, unabhängig davon, wie sehr bestehende Infrastrukturen genutzt werden oder nicht. Es ist diesbezüglich eine «ungesunde» Marktsituation entstanden: Alle wollen technisch in ihrem Fachgebiet Schritt halten und zu den «Besten» gehören, teilweise unabhängig davon, ob es betriebswirtschaftlich Sinn macht oder nicht.
4. Tarifsystem
Gewisse Tarife, welche heute zur Verrechnung herangezogen werden, basieren auf einer veralteten Tarifkalkulation, welche ihrerseits auf einer längst überholten Eingriffstechnik beruht.
5. Diverse
Es gibt noch etliche weitere Kostentreiber, welche zu erwähnen sind, so zum Beispiel neuartigere und kostenintensive Systeme wie das Belegarztsystem (Belegärzte werden teuer abgeworben – befeuert die Kosten zusätzlich) oder die Medikamentenabgabe, welche keinerlei Rücksicht auf die effektiv einzunehmende Menge nimmt (Abgabe von ganzen Packungen bei einer ärztlich verschriebenen viel tieferen Menge).
Die Politik auf höchster Ebene hat sich unterdessen diesem Thema verstärkt angenommen, da das Kostenwachstum schon länger den Zenit erreicht und sich die Gesundheit für die Bevölkerung zu einem wesentlichen Kostenfaktor im persönlichen Budget entwickelt hat. Infolge der unterschiedlichen Interessenvertreter im Gesundheitsmarkt (Pharmaindustrie, Ärzteverband, Krankenkassen usw.), wird es sicherlich schwierig, gemeinsam eine Lösung zur Kostenoptimierung zu finden. Dabei wäre es ein Einfaches, Übertreibungen anhand vorhandener technischer Daten sichtbar zu machen.
Vieles ist unterdessen dahingehend unternommen worden, dass die Daten einheitlich und nach vorgegebener Struktur in einem geeigneten technischen System erfasst werden. Die Daten umfassen unter anderem Informationen zu den Patienten, zur Eingriffsart, zur ärztlichen Leistung, zur Liegezeit des Patienten oder zur eigentlichen Operationszeit oder zu den Pflegeleistungen. Die Datenerfassung im stationären Bereich ist bereits weit fortgeschritten. Auch im ambulanten Bereich werden neu Strukturdaten des ambulanten Spitalbereichs, Patientendaten des ambulanten Spitalbereichs und Strukturdaten der Arztpraxen und ambulanten Zentren erfasst und ausgewertet. Diese Daten machen Systeme vergleichbar und decken Übertreibungen auf, wo sie anfallen. Diese Daten könnten Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung mit der Materie sein und Kostenoptimierungspotentiale aufdecken.
Grundvoraussetzung für ein Gelingen ist die Bereitschaft aller Involvierten, gemeinsam Missstände anzusprechen, eigene Interessen zum Wohle aller zurück zu stecken und punktuell Verschlechterungen zur aktuellen Situation zu akzeptieren. Nur so kann es gelingen, dringend notwendige Veränderungen herbei zu führen.
Zur Verfasserin: Eine leidenschaftliche MPA mit Managementausbildung im NBW (Netzwerk für betriebswirtschaftliche Weiterbildung), in erster Linie aber Mutter zweier Mädchen, die nebenbei den Onlineshop yabee.ch (Best 4 Family) betreibt.