Der Mensch liebt den Fortschritt, aber er hasst die Veränderung
Die Welt verändert sich rasant! Welche Veränderungen stehen an? Welche Umwandlung bereiten Bauchweh? Wo und aus welchen Gründen sperrt sich welche Person gegen Neuerungen?
Die Welt verändert sich rasant! Ausserhalb der Arztpraxis beobachten wir die Veränderungen mit einer gewissen Distanz. Innerhalb der Praxis aber gehen uns die Änderungen näher: Welche Veränderungen stehen an? Welche Umwandlung bereiten Bauchweh? Wo und aus welchen Gründen sperrt sich welche Person gegen Neuerungen?
Veränderungen brauchen Zeit
Woran mag es wohl liegen, dass manche Kolleginnen und Kollegen den Änderungen mit Vorbehalten gegenübertreten? Vielleicht deshalb, weil Veränderungen anfänglich meist Zeit brauchen. Bereits eine kleine Veränderung, wie das Umräumen einer oder zweier Schubladen, braucht Zeit: vorerst für das Umräumen und später um die Routine zu durchbrechen. Das Verändern bisheriger Strukturen und Organisationsabläufe in einer Arztpraxis sind anspruchsvoll. Je umfassender oder tiefgreifender die Veränderung vorgesehen ist, umso schwieriger lassen sich alle Einflussfaktoren planen. Verunsicherung entsteht.
Das Vier-Zimmer-Modell der Veränderung
Unternehmens- und Organisationsberater Hansueli Eugster hat mit seinem Vier-Zimmer-Modell die Problematik rund um Veränderungen griffig auf den Punkt gebracht:
1. Zimmer der Zufriedenheit
Vor der Veränderung befinden sich alle Personen im Zimmer der Zufriedenheit. In diesem Zimmer fühlen sich alle Mitarbeitenden wohl und geniessen diesen Zustand. Sie haben Übersicht über ihre Aufgaben, finden alle Utensilien und arbeiten routiniert.
2. Zimmer der Verleugnung
In diesem Raum befindet man sich, wenn die Veränderung stattgefunden hat. Die Mitarbeitenden fühlen sich unwohl und unsicher. An alten Arbeitsweisen wird noch festgehalten, weil einem diese besser/einfacher erscheinen. Widerstand gegenüber der Veränderung ist spürbar.
3. Zimmer der Verwirrung
Das Zimmer der Verwirrung heisst so, weil Chaos herrscht. Alte Verhaltensweisen führen zu Fehlern. Die MitarbeiterInnen werden unzufrieden, vielleicht sogar wütend. Nur Veränderungen führen aus dem Chaos.
4. Zimmer der Erneuerung
Im Zimmer der Erneuerung spüren die Mitarbeitenden, dass die Anwendung des Neuen zum Erfolg führt. Das Gefühl von Kontrolle und Sicherheit kehrt langsam zurück.
Dieses Modell verdeutlicht auf einfache Weise, dass schlechte Laune und Konflikte auch zur Veränderung gehören. Keiner gelangt von Zimmer der Zufriedenheit direkt ins Zimmer der Erneuerung. Auch wenn die Reihenfolge der Zimmer steht, so befinden sich nicht alle Mitarbeitenden im gleichen Zimmer oder wechseln zeitgleich das Zimmer während des Veränderungsprozesses.
Fünf Ebenen der Angst
Wenn es um Veränderung geht, dann ist Angst ein zentrales Thema. Im Zusammenhang mit Veränderungen unterscheiden wir fünf Ebenen von Angst:
- Angst vor Komfort-Verlust: Welche Gewohnheiten, Zuständigkeiten oder Aufgaben werde ich verlieren? Beispiel: Mit der neuen Mail-Lösung sehen alle Mitarbeiterinnen alle Mails und ich verliere meinen Wissensvorsprung.
- Die Leistungsangst hat mit der Unsicherheit zu tun, ob man die Veränderung schafft. Beispiel: Werde ich mit der neuen Dokumentenschnittstelle klar kommen? Bin ich dann die Langsamste?
- Die Beziehungsangst meint die Unsicherheit, welche Veränderung Auswirkungen auf das Team hat. Wie arbeiten wir nach der Neuerung im Team? Beispiel: Wir werden wieder mehr miteinander streiten, weil mehr Fehler entstehen, welche von Allen ausgebadet werden müssen.
- Die Identitätsangst hat zu tun mit Veränderungen von Rollen und Aufgaben. Sie bewirken also Unsicherheit in Bezug auf die eigene Identität: Was kann ich und wer bin ich? Beispiel: Mit der neuen Schnittstelle wissen alle MPA gleich viel und ch verliere dadurch meinen Expertenstatus.
- Der Verlust von Aufgaben und Rollen kann auch zu Existenzangst führen: Gefährdet die Veränderung meinen Job, meine Arbeitsplatzsicherheit? Beispiel: Werde ich in Zukunft noch in dieser Arztpraxis gebraucht?
Schlüsselfaktoren der innerbetrieblichen Veränderung
Veränderungen braucht es und es wird sie immer geben. Was können wir tun, damit wir in der Arztpraxis nicht stehen bleiben? Schlüsselfaktoren für Veränderungen sind:
- Einbezug der Mitarbeitenten und allenfalls auch PatientInnen (Partizipation)
- Direkte, offene und zeitnahe Kommunikation und Information für alle
- Klare Entscheidungsstrukturen und Machtverhältnisse
- Genügend Ressourcen (Zeit und Geld)
Mit Partizipation kommt man weiter
Partizipation bewirkt, dass die Beteiligten die Veränderung positiv bewerten und Widerstand reduziert wird. Veränderungen wird offener begegnet und sie werden besser akzeptiert. Die Beteiligten gehen motivierter an die Veränderungen heran, erleben mehr Unterstützung und fühlen sich wohler in der Veränderung. Besonders wirkungsvoll ist Partizipation in Form von Mitentscheidungen. Jeder Beteiligte wird als Experte auf seinem Gebiet betrachtet und miteinbezogen. Zusammen mit einer guten Kommunikations- und Informationskultur ergeben sind kreativere und innovativere Lösungen und bessere Entscheidungen. Dadurch wird Veränderung als ein Lernprozess für sich und für die gesamte Arztpraxis angeschaut. Entscheidungsstrukturen werden bei dieser Gelegenheit angepasst.
Veränderungen benötigen immer Zeit und Kraft von allen Beteiligten. Daher ist es wichtig, als Team gemeinsam zu planen, wann an welche Veränderungen herangegangen wird. Auch mit der besten Planung und der offensten Kommunikation lässt sich der Stress nicht ganz vermeiden. Er bleibt aber erträglich.
Zur Verfasserin: Seit mehr als 10 Jahren für die Organisation und Entwicklung der Gruppenpraxis Küblis mitverantwortlich. Teamprozesse und was die Menschen im Team brauchen, damit sie gut zusammenarbeiten, interessieren sie seit ihrem Studium der Arbeits- und Organisationspsychologie besonders.